Eine Einführung zur Predigtreihe
Gebet und ich haben eine lange Reise hinter uns. Mal sind wir ein Herz und eine Seele, mal wie Feuer und Wasser. Mal ist Gebet wirklich meine Quelle für Kraft, Inspiration und Weisheit; mal ist es reine Gewohnheit oder eine ToDo, die für einen guten Christen (und eine gute Pastorin sowieso) einfach dazugehört. Mal fühlt es sich an wie Gemeinschaft und Austausch mit Gott, mal fühlt es sich an wie eine Einbahnstraße. Mal ist es das naheliegendste und natürlichste auf der Welt, mal eine Überwindung. Früher habe ich mich für diese Gegensätze verurteilt. Heute sind gerade sie der Grund, warum ich Gebet liebe (oder ehrlicher formuliert: Warum ich Gebet lieben gelernt habe): Gebet ist für mich ein Spiegel dafür geworden, wie es mir gerade geht und wie es mir mit Gott geht. Und dieser Spiegel ist schonungslos ehrlich, aber nie verletzend. Dieser Spiegel zeigt mir, was ist, aber auch, was sein kann. Er überführt, aber mehr noch, er führt in Freiheit und Lebendigkeit: In ihm darf sein, was ist. Und aus ihm wird, was gut ist.
So erlebte ich es kürzlich wieder, als ich zu einem Stille-Wochenende in einem Kloster war und wir uns mit der Szene aus dem Johannesevangelium Kapitel 21 beschäftigten: Die Jünger sind völlig geschockt über Jesu Tod und tun deshalb das, was sie früher getan haben, bevor Jesus ihnen begegnete und sie in seine Nachfolge berief: Sie gehen fischen. Leider erfolglos, sie fangen nicht einen einzigen Fisch (V.3). Dann kommt Jesus zu ihnen und stellt die entscheidende Frage: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ (V.4). Diese Frage ließ mich am ganzen Wochenende nicht mehr los. Sie regte mich auf. Es war doch offensichtlich, dass sie nichts zu essen hatten! Warum reitet Jesus noch darauf noch rum, „stating the obvious“? Es machte mich wütend.
Erst ein paar Stunden (und wütende Spaziergänge meinerseits) später wurde mir klar, dass meine Wut einen Grund hatte: Jesus hat damit meinen wunden Punkt berührt. Ich erkannte: Ich hatte in letzter Zeit vor allem von der Spiritualität anderer Menschen gelebt: Von ihren Geschichten und ihren Erlebnissen mit Gott. Sie waren eine Art Ersatz für mein eigenes Erleben mit Gott. Ein schlaues Buch zu lesen und mir schlaue theologische Gedanken zu machen ersetzten eigene Erlebnisse und Gespräche mit Gott. Ich merkte: Als Inspiration sind diese toll, taugen aber nicht als Ersatz für das eigene Erleben und Reden mit Gott. Eine neue Sehnsucht nach Gott und Gemeinschaft mit ihm im Gebet ist seither in mir erwacht.
„Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Ja, ich erlebe Gebet als etwas, was Hunger in mir weckt, aber auch Hunger in mir stillt. Beim Gebet gibt es dabei keine Norm, die erfüllt werden muss. Es ist lebendig, vielseitig, ein Auf und Ab, wie das Leben halt. Und darum auch ein Spiegel dessen: Ehrlich, aber einladend.