Gemeinsam leben
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Nach der Frage der Impfung widmen wir uns nun dem eigentlichen Konstrukt, das unsere Gesellschaft zur Zeit spaltet: Wie gelingt uns das Miteinander in dieser Zeit? In diesem Artikel stelle ich 3 Prinzipien dazu vor:
#1 NO CONDEMNATION
Unsere Untersuchung der Bibel hat uns gezeigt, dass der Impfstatus eines Menschen an sich keinen Einfluss auf ihre/seine Beziehung zu Gott hat. Darum ist jede Verurteilung eines Menschen aufgrund des Impfstatus – egal auf welcher Seite man steht – eine Beleidigung Gott gegenüber:
„Wer wird es noch wagen, Anklage gegen die zu erheben, die Gott erwählt hat? Gott selbst erklärt sie ja für gerecht. Ist da noch jemand, der sie verurteilen könnte? Jesus Christus ist doch für sie gestorben“.
(Römer 8, 33-34)
Ganz konkret geschieht Verurteilung in erster Linie durch unsere Worte:
- Nein zu Schimpfworten: Wer sich nicht impft ist nicht einfach „dumm“, „zurückgeblieben“, „unvernünftig“, „ein Spinner“ o.ä. Wer sich aber für die Impfung entscheidet, kann auch nicht einfach als „naiv“, „angstgefangen“, „Sklave des Systems“, „Pharma-Faschist“, „Wirrologe“ o.ä. bezeichnet werden. Es sind oft kleine Begriffe, die im Feuer der Emotionen rausrutschen, aber sie hinterlassen tiefe Spuren, die uns voneinander entfernen. Das erkannte schon Jesus in seiner Bergpredigt:
„Wer zu seinem Bruder sagt: ›Du Dummkopf‹, der gehört vor den Hohen Rat. Und wer zu ihm sagt: ›Du Idiot‹, der gehört ins Feuer der Hölle.“
(Matthäus 5, 22)
- Nein zur Kategorisierung: Immer wieder in der Geschichte beobachten wir, dass der erste Schritt, um Hass und Diskriminierung auf bestimmte Menschen „salonfähig“ zu machen, darin besteht, die Gruppierung durch ein Begriff zu bezeichnen, den sie nicht selbst ausgesucht haben: z.B. Zigeuner/-in, Neger/-in/Farbige/-r, Ausländer/-in, Christ/-in1, Mohammedaner/-in, Islamist/-in, Schwuchtel, Behinderte/-r, Bonze, u.a. Solche Begriffe schaffen Kategorien, innere Trennung bzw. Abgrenzung und Wertung. Wer möchte schon zu den „Querdenker/-innen“ gehören? Welche/-r „Querdenker/-in“ wäre stolz ihrem/seinem „Systemling“-Verwandten seine „Querdenker“-Community vorzustellen? Schaffen wir diese Begriffe ab, dann haben wir die Chance Menschen zu sein, die unterschiedliche Meinungen zum Thema Impfung (wie in anderen Lebensthemen auch) haben.
- Ja zur urteilsfreien Sprache: Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt bei einem Besuch zu fragen, worauf ich achten soll, damit sie sich wohl fühlen. Da höre ich oft zwei Kategorien von Antworten: „Ach, wir sind da ganz locker (bzw. entspannt). Mach dir da keinen Kopf!“ so ähnlich formulieren es die einen, während ich von anderen höre: „Wir sind da sehr vorsichtig. Lass dich auf jeden fall testen und bringe deine Maske mit!“ Bei beiden Aussagen weiß ich, woran ich bin. Aber beide haben das Potential einen komischen Beigeschmack zu hinterlassen: Entweder höre ich heraus, dass ich nicht locker bzw. nicht entspannt bin (falls ich zur Gruppe gehören würde, die Wert auf mehr Vorsichtsmaßnahmen legt), oder ich höre, dass ich unvorsichtig bzw. unvernünftig handle (falls ich nicht dieselbe Art Vorsicht lebe). In beiden Fällen kann ich je nach Situation ein indirektes Urteil über mich hören. Natürlich ist es nicht (immer) die Absicht andere zu verurteilen, wenn wir uns ausdrücken, jedoch passiert es insbesondere in so einer spannungsvollen Atmosphäre. Wir brauchen eine Sprache, die präziser und sachlicher ist: z.B. „Du brauchst dich nicht testen zu lassen, bevor du kommst und es sind auch unsererseits keine weitere Maßnahmen nötig, wenn du da bist!“ oder „Ich fände es schön, wenn du dich testen lässt und deine Maske mitbringt!“ So bleibt es bei der Information und urteilsfrei.
#2 Nächstenliebe ist Nächstenschutz
Als Christen muss die Nächstenliebe auch in der Pandemie im Zentrum unseres Umgangs miteinander stehen. So hat es die Kirche immer getan und soll es immer tun: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19, 18; Markus 12, 31). Wer entscheidet sich nicht zu impfen, ist in seiner Entscheidung berechtigt, wenn er darin keinen Ausdruck der gesunden Nächstenliebe, die auch die Selbstliebe beinhaltet, sehen kann. Allerdings darf sich die Person der Frage der Nächstenliebe nicht entziehen: Wie trage ich zum optimalen Schutz der Menschen um mich herum trotz meiner Entscheidung bei?
Dasselbe gilt auch für die-/denjenigen, die/der sich für eine Impfung entschieden hat. Wer sich dafür entscheidet, tut es (im besten Fall) zum Schutz seiner Mitmenschen. Aber weil wir mittlerweile wissen, dass die Impfung keinen ultimativen Schutz bedeutet, darf sich auch die Person der Frage der Nächstenliebe nicht entziehen: Wie trage ich zum optimalen Schutz der Menschen um mich herum trotz meiner Entscheidung bei?
Dazu einige Gedanken:
- A.H.A-Regeln brauchen den Geist: Die Bibel erzählt uns, dass „das Gesetz den Tod [bringt], aber der Geist Gottes macht lebendig.“ (2. Kor 3,6). Gemeint ist, dass die-/derjenige, die/-der versucht die Vorgaben des Gesetzes Gottes genau zu befolgen, ohne die Absicht dahinter als Motivationskraft zu nehmen, nicht weit kommen wird. Das, was für die Regeln Gottes gilt, gilt auch für die A.H.A.-Regeln. Nach über 2 Jahren wirken sie einschränkend, einengend und sie widersprechen sehr oft unserer inneren Sehnsucht nach Nähe. Nehmen wir aber den Nächstenschutz ernst, dann sollten wir die Kraft finden, das gesundheitliche Wohlbefinden unserer Mitmenschen über unsere eigenen Bedürfnisse zu stellen. Wie könnte ich Menschen, die ich mit meiner Tat gefährde, mit meinen Worten lieben? Wie soll ich Menschen, die ich normalerweise vor einer Erkältung schütze, nicht vor dem potenziellen Covid-19-Virus in mir schützen?
- Nächstenliebe-Konsens suchen: In den damaligen Gemeinden in Rom und Korinth, hatten Christen unterschiedliche Vorstellungen zu dem, was man als Christ essen darf2. Um das Miteinander zu gestalten, führt der Apostel Paulus ein interessantes Prinzip der Nächstenliebe ein: Diejenigen, die die Freiheit für sich verspüren alle Speisen zu essen (was Paulus als die richtige Erkenntnis sieht), sollten in Anwesenheit von Christen, die diese Freiheit nicht haben, ihre Freiheit gern aufgeben, um den Glauben ihrer Geschwistern nicht zu gefährden – gerade, weil sie wirklich frei sind! Mit anderen Worten heißt Nächstenliebe bei unterschiedlichen Überzeugungen, dass diejenigen ihre „niedrigeren“ äußeren Einschränkungen im Miteinander anpassen sollten, an diejenigen, die „höhere“ äußere Einschränkungen leben – das ist Nächstenliebe-Konsens. Sollten sich also zwei Personen oder eine Gruppe von Menschen treffen, dann ist es gut nach diesem Nächstenliebe-Konsens zu suchen: d.h. wer „wenige“ Maßnahmen braucht für eine sichere Umgebung, soll sich an die Wünsche von denjenigen anpassen, der „hohe“ Maßnahmen für eine sichere Umgebung braucht. Damit drücken wir Nächstenliebe aus.
#3 Von der Kunst nicht einverstanden zu sein
Die höchste Tugend einer pluralistischen Gesellschaft ist die Fähigkeit miteinander zu leben trotz unterschiedlicher Meinung, sonst zerbricht unsere Gesellschaft. Genau diese Fähigkeit brauchen wir heute ganz dringend. Hier kann die Bibel ein wertvoller Wegweiser für uns sein: Im ersten Kapitel Buch Jesaja spricht Gott über die zahlreichen Sünden des Volkes Israel und zeigt, wie diese sie von ihm trennen. Und in Jesaja 1, 18 sagt er:
„Kommt doch, wir wollen miteinander rechten! spricht der HERR. Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, sollen sie weiß werden wie der Schnee; wenn sie rot sind wie Karmesin, sollen sie weiß wie Wolle werden.”
Jesaja 1, 18
In diesen Worten finden wir die Geheimnisse zum Miteinander. Erstens wir müssen miteinander reden – vielleicht sogar streiten: “Kommt doch, wir wollen miteinander rechten!” Ohne reden entfremden wir uns automatisch voneinander. Wir entwickeln “Tabuthemen”, die die Tür für mehr Vorurteile und Missverständnisse öffnen, die wiederum Versöhnung schwieriger machen. Der Dialog darf niemals aufhören. Zweitens muss die Absicht des Dialogs immer die Abschaffung dessen, was zwischen uns steht, sein: “Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, sollen sie weiß werden wie der Schnee; wenn sie rot sind wie Karmesin, sollen sie weiß wie Wolle werden.” Guter Dialog ist unmöglich, wenn es einem darum geht, die/ den andere/-n zu überzeugen, zu überreden oder sich zu rechtfertigen. Guter Dialog bringt die Bereitschaft mit, die/den andere/-n verstehen zu wollen (nicht unbedingt die eigene Meinung zu verlassen) und von ihr/ihm etwas neues gelernt zu haben.
Wie gelingt es uns praktisch:
- Guter Dialog braucht den richtigen Rahmen: Ansichten zu Corona haben mittlerweile die Merkmale von religiösen Ansichten: sie sind persönlich, unterliegen starker Überzeugung und lösen viele Emotionen aus. Wer darüber reden möchte, darf das Gegenüber nicht überrumpeln. Man sollte daher eine bestimmte Zeit ausmachen, um sich darüber zu unterhalten. Sollte sich das Gespräch spontan ergeben, sei sehr sensibel, ob dein Gegenüber und du euch wirklich innerlich auf das Gespräch einlassen könnt. Wenn nicht, dann bitte darum das Gespräch ein anderes mal fortzusetzen. Dieser Gedanke ist besonders wichtig, denn er schafft “sichere” Räume in Beziehungen, wo man keine Angst hat, dass das Thema Corona plötzlich auftauchen wird.
- Verliere gern die Argumentations-Schlacht: Bei Themen, die persönlich sind, starke Überzeugung beinhalten und emotional sind, geht es NIE um Sachlichkeit. Dein Ziel darf also nicht sein, Gegenargumente zu jeder Aussage deines Gegenübers zu haben, sondern sie/ihn in ihrer/seiner Ansicht und Logik zu verstehen. Höre aktiv zu: stelle Rückfragen (am besten Wie-Fragen), um dein Gegenüber zu verstehen; fasse die Aussagen in eigenen Worten zusammen und gib ihr/ihm die Möglichkeit das, was du verstehst zu korrigieren; bedanke dich für die “neuen” Erkenntnisse bzw. die Ehrlichkeit/ das Vertrauen, das dir dein Gegenüber schenkt. Ziel ist den Mensch zu gewinnen und das Miteinander zu stärken.
- Stelle eine Alternative vor: Gern sollst du deine Meinung sagen und deine Argumente dazu, aber bitte NIEMALS als DIE Wahrheit oder DEN Fakt (selbst wenn du davon überzeugt bist), sondern als eine andere Sichtweise/Perspektive. Deine Ansichten kannst du mit einem Satz wie diese einleiten: “Danke für deine Gedanken. Jetzt verstehen ich, dass du nicht unbedingt davon ausgeht, dass die Impfung alles löst. Meine Sicht dazu/eine andere Perspektive könnte so aussehen…” So schaffst du eine Situation, in der dein Gegenüber dir zuhören kann (wenn sie/er/möchte) mit dem Gefühl, dass ihre/seine Ansichten verstanden bzw. wahrgenommen werden.
- Sei geduldig: Das Thema muss nicht beim ersten mal völlig ausgeschöpft werden. Es geht viel mehr darum kleine Schritte zu einander, miteinander zu machen und den anderen stehen zu lassen.
Wir leben in ganz besonderen Zeiten, die uns alle auf außergewöhnliche Weise herausfordern. Aber es ist meine Hoffnung, dass wir als Kirche in dieser Zeit Licht sein werden. Licht untereinander und um uns herum. Das ist möglich, weil Gott es kann!
1 In der Antike war es ein Schimpfwort, was von der Gesellschaft kam.
2 Römer 14; 1.Korinther 8-11.